In der Musik sind die Noten nach der Pause etwas Besonderes, denn die Pause ist ein Luftholen und eine Betonung dessen, was dann folgt. Pausen bauen Spannung auf, setzen Akzente und bringen Abwechslung in das komplexe Notenkonstrukt.
Zoom zurück. Corona-Pause. Die Erlasse des Landes flattern in kurzen Abständen in mein Postfach. All die Dinge, die nun anders sind und bis auf Weiteres gelten. Und da lese ich MEINEN Satz… sinngemäß steht da, das ich keine Noten mehr geben muss! Als ich das lese, mache ich spontan einen kleinen Freudentanz, nur für mich. Bin ja alleine. Dann überlege ich: Darf ich das wirklich? Werden das alle so machen? Und darf ich das machen, auch wenn ich die einzige in meinem Kollegium wär?
Ich frage vorsichtshalber nochmal nach. Die Personalratskollegin bestätigt, ich brauche überhaupt keine Noten mehr geben. Wie cool ist das denn bitte?! Dabei bin ich auch leicht amüsiert über meine eigene Ungläubigkeit. Ist das wirklich, ich meine WIRKLICH, ok?
Nach diesem offiziellen grünen Licht bespreche ich meinen Wunsch mit meinem Mentor. Der ist unser Fachkonferenzleiter und wenn er zustimmt, müssts ja problemlos fein sein. Zunächst reagiert er überrascht. Ich erkläre ihm meine Gründe: mit den Zwischennoten, die wir im März gemacht haben, hat sich ein Kind um eine Note verschlechtert, 3 Kinder werden dieselbe Note wie im Halbjahr bekommen und 14 (!!!)j haben sich um eine Note verbessert. Und das Beste: die 4 Kinder, die eine Fünf im Halbjahr hatten, stehen nun sicher auf 4! Das ist für mich ein super Zeitpunkt, um das Jahr notentechnisch zu beenden. Denn bei einigen Kindern mache ich mir tatsächlich ernste Gedanken darüber, wie sie die Zeit verbringen werden und wie „beschäftigt“ (mit ihrem Leben in ihren Familien) und lernbereit sie nach der Pause wieder in die Schule zurückkehren werden.
Mein Mentor überlegt eine Weile, dann sagt er sinngemäß, dass er es für seine Klasse nicht so machen würde. Da werde er noch Noten machen. Aber er sieht meine Gründe ein und findet es von mir sehr entgegenkommend für die Kinder. Für meine Klasse scheint ihm ein früher Notenschluss sinnvoll für die Kinder. Die Klassenlehrerin ist mäßig begeistert, aber sie akzeptiert meine Entscheidung.
Mit voller Überzeugung gehe ich nun also in die Klasse zurück, treffe die erste Hälfte der Klasse und verkünde stolz, dass es keine Noten mehr geben wird. Den neuen Stoff werden wir nochmal abtesten, aber ohne Noten (es gibt für unser Lehrwerk „Diagnosetests“, bei denen jeder abgeprüfte Aspekt rückgemeldet wird mit „sicher“, „teilweise sicher“ und „noch unsicher“, das reicht mir völlig aus). Die zweite Hälfte sehe ich am folgenden Tag leider nicht mehr, da darf ich schon nicht mehr in die Schule. Berufsverbot. Bääm.
Nun übernimmt mein Mentor meine Klasse. Und höre dann einige Wochen später, dass er benotete Tests schreibt. Da falle ich doch aus allen Wolken… nachdem wir es besprochen und er es befürwortet hat „für meine Klasse“, geschehen nun doch andere Dinge als abgesprochen. Das stimmt mich traurig, denn die Noten sind für mich keine Überraschung. Schade.
Immerhin werden die Tests am Ende „nur“ als „kleine Tests“ in die mündliche Note gezählt, und die Zeugnisnoten ändern sich nicht mehr. Trotzdem schön. Dennoch schade.
Ich wollte die EINE Chance nutzen, die sich mir durch Corona bot, dass ich meinen SchülerInnen ihre besseren Noten einfach mal schenke. Das hat ja nochmal geklappt. Aber die meisten KollegInnen sahen das anders.
Die Pause war auch hier also ein Luftholen, aber die Noten im restlichen Stück „Schuljahr 2019/20“ waren für viele meine SchülerInnen dann doch her enttäuschend nach der aufgebauten Spannung.