Die Aufgaben der Heimlernzeit sind verpflichtend und werden von den Lehrkräften überprüft!

Die Kinder wurden seit der Schulschließung an Freitag, dem 13., mit Arbeitspaketen für Zuhause ausgestattet. Es sollten Materialien für alle Hauptfächer in Papierform sein, diese wurden liebevoll verpackt und mit den Namen der Kinder versehen.

Differenziert soll das Material sein, die gerade gelernten Grundlagen festigen, jedoch soll nichts Neues darin „behandelt“ werden. Also arbeite ich für meine 3. Klasse „Arbeitspakete“ aus, 3 an der Zahl für jeweils 2 Wochen, also für 6 schulfreie Wochen. Ich bemühe mich darum, die unterschiedlichen Aufgabenformate nicht zu überfrachten, achte auf Wiederholung der kleinen Einmaleins und lasse Additions- und Subtraktionsaufgaben im Raum bis 1000 üben. Vorbildhaft habe ich natürlich für jedes einzelne Paket (3 Pakete in jeweils 3facher Differenzierung) ein Lösungsexpemplar. Für mich. Wie erwünscht gibt es „Pflichtaufgaben“ und „Zusatzaufgaben“. Erst im Elternbrief wird mir auch das Ausmaß and „Postproduktion“ bewusst, denn dort steht, dass die Aufgaben alle verpflichtend sind und von den Lehrkräften kontrolliert werden würden.

Nun vergingen die ersten Tage und ich war sehr gespannt auf die Reaktionen meiner Klasse. Meine Emailadresse hatte ich den Eltern genau dafür mitgegeben. Es kam in 6 Wochen keine einzige Reaktion bei mir an. Die „Pakete“ kommen kleckerweise zu mir zurück. Ich blättere durch die Hefte und stelle sofort 2 Dinge fest: meine so liebevoll gestalteten und sorgfältig getackerten Heftchen sehen ausnahmslos ziemlich erbärmlich aus. Irgendwie trifft mich das. Beim Durchblättern sehe ich bei vielen Heften entweder keinen Namen auf dem Deckblatt und/oder mehr als eine Handschrift bei den Aufgaben. Worauf soll ich diese Hefte nun kontrollieren? Ich habe keine Ahnung, ob die Kinder damit zu Hause überhaupt gearbeitet haben. Ich weiß nicht, ob die falschen Lösungen aus wenig Mühe, wenig Motivation oder aus Überforderung entstanden sind. Und ob Kind X wirklich etwas gelernt hat oder sich Hilfe geholt hat, was nicht verboten war. Wenn ich die Hefte nun nach richtigen/falschen Lösungen durchschaue, wer gewinnt dann an Einsicht? Ich nicht. Die Kinder wohl auch nicht.

Wie entscheide ich mich als Referendarin also in dieser Situation? Ich soll die Arbeiten durchschauen, kontrollieren. Dabei beschleicht mich aber das Gefühl, dass meine Kontrolle nichts Greifbares aussagen würde. Ich entscheide mich also aus meiner Sicht für die Kinder und honoriere ihre Mühe. Ich blättere flüchtig durch die oft namenlosen Hefte und stelle fest: wenige leere Seiten. Das ist mehr als ich erwartet hatte. Mir reicht das. Mehr Kontrolle brauche ich nicht. Die Kinder sehen die Hefte auch nicht wieder. Jedes Kind bekommt eine Rückmeldung, dass es sich angestrengt hat und ich die Mühe sehe und wertschätze. Erst beim Weiterarbeiten im Unterricht sehe ich ja, ob die Kinder die Aufgaben zum Üben selbst genutzt haben oder nicht.

Eine Mutter, die ich beim Einkaufen treffe, erzählt mir, dass sie mit ihrer Tochter viel Streit hat wegen der Schulaufgaben. Ihre Tochter hat keine Motivation, die Aufgaben zu machen. Da die Mutter arbeitet, ist sie oft nicht zu Hause. Aus der Notbetreuung kommen ähnliche Stimmen. Das Mädchen würde sich den Aufgaben verweigern. Ich versuche, der Mutter den Druck zu nehmen und äußere meine persönliche Meinung. Ihre Tochter kann die Übungen machen, die Wiederholung hilft ihr, den Anschluss nicht zu verlieren. Aber die Mutter muss sich nicht wegen Mathe oder mir mit ihrer Tochter streiten. Wenn sich das Kind verweigert, dann ist es nicht die Aufgabe der Mutter, sie zu nötigen. Dann würde ich sie im Unterricht dort mitnehmen, wo sie dann steht. Die Mutter schaut mich etwas ungläubig an.

Jetzt habe ich hier einen enormen Stapel an „Arbeitspaketen 1 bis 3“ liegen und überlege, was ich damit tun soll oder kann.

Ich merke, dass meine persönliche Meinung (darf ich die überhaupt so offen äußern als „Staatsdiener“?) eher unpopulär im Lehrerzimmer ist. Wenn ich sage, dass es mir am wichtigsten ist, dass die Kinder nicht traumatiert aus ihren Familien wieder kommen, und dass sie aus meiner Sicht sehr gern nur Kinder sein und megalange Ferien genießen dürfen (vielleicht lernen sie Einrad fahren oder Kuchen backen?), dann kommen sofort Fragen auf „Aber die verpassen doch so viel…“ oder „Die können doch so schon nicht viel, wenn die jetzt nichts machen, haben die nachher alles vergessen und wir fangen wieder von Null an!“, „Das kann doch keiner auffangen, was die verpassen.“
Mal ehrlich: es geht grad allen so. Jeder Lehrer weiß, dass das nächste Schuljahr mit dem Stoff des letzten Jahres starten muss. Die Stoffpläne sind zwar zum Platzen voll, aber es ist doch sehr einfach, Überflüssiges zu streichen. Ich habe da überhaupt keine Bauchschmerzen mit. Vielleicht bin ich da sehr naiv, aber ich glaube durchaus, dass man unseren Kindern das Schuljahr schenken kann, und gern auch die Abschlüsse. Denn auch die weiterführenden Stellen (Ausbildungsplätze, Universitäten) sind betroffen. Das „Schlimmste“, was passieren kann wäre, dass ein junger Mensch Zutritt bekommt zu einer Bildungsstätte, die er/sie mit seinen/ihren Noten vielleicht nicht bekommen hätte. Na und? Dort angekommen gilt es, sich zu beweisen. Das kann für einige sogar eine riesige Chance sein. Wo ist also unser Problem? Es tut mir leid, aber ich sehe es wirklich nicht…

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